Da hatte ich zur Sommerpause doch behauptet, dass ich erst zum Oktoberfest am 10. Oktober zurück in die Stadthalle kehre. Aber den ersten Auftritt vom neuen Hagener Generalmusikdirektor (GMD), Sebastian Lang-Lessing, möchte ich mir nicht entgehen lassen. 99 Tage nach dem letzten Hagener Konzert seines Amtsvorgängers übernimmt der gebürtige Gelsenkirchner (man sucht sich seine Heimat nicht aus) Lang-Lessing das Dirigentenpult vor dem Hagener Orchester. In den sozialen Medien habe ich den GMD bereits etwas verfolgt und er weckte mein ganz persönliches Interesse mit der Ankündigung eines spätsommerlichen, italienischen Abends. Diese Information reichte mir bereits aus, um mit meiner Vespa an der Halle vorzufahren. Die italienischen Momente müssen zelebriert werden…
Der Neue darf sich auf die treuen Seelen der heimischen Kulturlandschaft verlassen: es sind alle nach der Sommerpause wiedergekommen! Die Gerbers, die Asbecks, die Kaufmanns, die Geierbachs, die Heuers, die Fehskes, die Königs, die Kingreens, die Damms, die Kramps, die Herren Vormann und Fessen…und selbstverständlich auch Frau Willer von der Lokalzeitung – und noch viele Menschen mehr. Während sich zeitgleich in den Räumen der Industrie- & Handelskammer seine potentiellen Nachfolger sich einem Publikum präsentieren, erfreut sich der scheidende Oberbürgermeister Schulz lieber dem Klang der Melodien. Denke, er macht es richtig…!
Lang-Lessing nennt sein erstes Programm an neuer Wirkungsstätte „Tristesse und Sonnenstrahlen“. Gespielt werden Werke von Lili Boulanger (1893-1918), Ludwig van Beethoven (1770-1827), Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) und Gioachino Rossini (1792-1868). Eine Verbindung besteht bei den unterschiedlichen Werken unter anderem darin, dass sie alle geschrieben wurden, als die Komponisten und die Komponistin jeweils 24 Jahre alt waren. Apropos Komponistin: in dieser Konzertsaison wird an jedem Abend wenigstens ein Werk einer Komponistin präsentiert werden.
D´un soir triste ist der ruhige Auftakt in die neue Spielzeit. Das Werk von Boulanger wurde von der jungen Französin Camille Pépin (*1990) von der Spätromantik in eine neue Orchestrierung gewandelt. Pépin vollendet damit nach knapp 100 Jahren das Stück von Boulanger, der die Orchesterversion nicht mehr gegönnt war. Sie starb zu jung. Es folgt das Klavierkonzert Nr. 1 (C-Dur op.15) von Beethoven. Hierfür muss die Stadthallenbühne umgebaut und der Schimmel-Flügel aufgebaut werden. Sebastian Lang-Lessing nutzt die Umbauphase für die ersten Worte an seine neuen Hagener `Freunde`: Es kommt gut an, dass er Hagen sein Zuhause nennt und dieses Konzert ein besonderer Moment für ihn ist. Als Gast spielt David Fray den Flügel. Er ist in dieser Spielzeit `Artist in Residence` und wird noch mehrfach in diesem Jahr in Hagen zu sehen und zu hören sein.
Fray, Lang-Lessing und das Orchester begeistern nach wenigen Momenten das Publikum. Es ist ein furioses Duett zwischen den Klangwelten. David Fray scheint dabei eine unbändige Freude an seinem Klavier zu haben. Fray dankt dem Publikum mit einer kleinen, luftigen Solo-Zugabe, verschenkt seinen Blumenstrauß vom Theaterförderverein an die 2.Konzertmeisterin Ilzoo Park und entlässt die Zuhörerschaft in die Pause. Man sieht überall glückliche Gesichter an den Versorgungsständen im Foyer. Der Auftakt scheint bereits zur Pause ein Erfolg zu sein.
Herzlich Willkommen in der Zuneigung des Hagener Publikums, Herr Lang-Lessing. Der `Artist in Residence` hat seinen Part bravourös absolviert – nach der Pause gehört die Bühne wieder dem neuen GMD und seinem Orchester. Während ich mir begeistert das Spiel von Lang-Lessing mit seinem Taktstock anschaue, merke ich, wie eine Hustenattacke mich einholt. In solchen Momenten gibt es ja nichts bekloppteres, als den Hustenreiz unterdrücken zu wollen – es verschärft die Situation nur unnötig. Der Herr in der Reihe hinter mir, räuspert sich bereits leicht genervt und vorwurfsvoll. Eigentlich kann ich ihn verstehen und ich überlege ernsthaft, den Saal zu verlassen. Aber das Halskratzen lässt nach und im Zwischenapplause zwischen Mendelssohn Bartholdy und Rossini kann ich befreiend abhusten…
Sebastian Lang-Lessing dirigiert im schwarzen Anzug, mit schwarzem Hemd, bei dem der oberste Knopf geöffnet ist, und hochglanzpolitierten Schuhen. Er sieht leger aus. Seinen Schwung mit dem Taktstock in der rechten Hand wirkt leichthändig in fließenden Bewegungen. Er hat zum Orchester ein leidenschaftliches Mimenspiel, der ich eine wahre Spielfreude entnehme. Was mich allerdings am meisten beeindruckt ist das fehlende Notenpult nach der Pause. Die „Italienische“ Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy und die abschließende Ouvertüre zu Wilhelm Tell von Gioachino Rossini scheinen dem Generalmusikdirektor enorm vertraut zu sein.
Überhaupt: das erste Sinfoniekonzert an neuer Wirkungsstätte mit der Tell-Ouvertüre zu beenden ist ein genialer Streich. Natürlich ist es ein beliebter Klassikklassiker und ein musikalisches Feuerwerk für das Bühnenpersonal und die Zuhörer:innen. Sebastian Lang-Lessing hat sich mit Rossini in die Herzen des Publikums dirigiert. Es war ein vielversprechender Auftakt – für eine hoffentlich erfolgreiche Ära der neuen Theater- & Orchesterleitung. Das Publikum war übrigens noch eingeladen – vom Theaterförderverein: auf ein Glas Sekt zur Spielzeiteröffnung. Auch, um die Protagonisten des Abends erstmals näher kennenlernen zu können. Sebastian Lang-Lessing und David Fray. Herren, auf die sich Hagen freuen kann.
Apropos freuen: der Hausherr, Volker Wolf, war selbstverständlich ebenfalls im Haus. Auch ihm durfte man gratulieren. In der Vorwoche wurde die Stadthalle, zu Recht, ausgezeichnet: mit dem Marketingpreis für die beste Wiedereinführung (in Fachkreisen sagt man Relaunch) der Marke „Stadthalle“ – ausgezeichnet vom Marketingclub Südwestfalen.
Bei der Rückfahrt mit der Vespa fahre ich an Ilzoo Park vorbei. Man erkennt sie heute besonders gut: an dem großen Blumenstrauß in ihrer Hand.