Stadthallenschreiber Sven Söhnchen XIV | Oktoberfest (Radio Hagen & KESH) am 10. Oktober 2025

Bekomme, wie üblich, auf dem Hinweg zur Stadthalle ein mulmiges Gefühl. Sitze in der Buslinie 518, die mich zehn Minuten vor dem vereinbarten Dienstbeginn, an der richtigen Haltestelle aussteigen lässt. Hatte ich im gestrigen Telefonat mit Simone Seegrefe richtig zugehört? Dienstbeginn 17:30 h? Oder doch schon eine Stunde vorher? Dann…wäre ich mal wieder zu spät. Mir kommt 17:30 h erstaunlich spät vor, wenn 30 Minuten später die Türen geöffnet werden und das Feiervolk den Saal stürmt! Die KESH (Kongress & Eventpark Stadthalle Hagen)-Gastronomieleiterin Simone Seegrefe begrüsst mich verschnupft – obwohl ich pünktlich bin. Sie führt die Diensteinteilung durch und erzählt der knapp 35köpfigen Gastrocrew des Abends den Planungsablauf dieser Traditionsveranstaltung. Nicht nur das Oktoberfest in der Stadthalle hat eine Tradition, sondern auch ihre persönliche Erkältungswelle zu Oktoberfestzeiten.

Zwei Tage verwandelt sich die vormals grüne Stadthalle in ein blau-weiß-bajuwarisches Festzelt – mit entsprechendem Ambiente und der hölzernen Bierbetischung und Bebankung. Jede:r Kellner:in bekommt ungefähr 3 Tische zugewiesen. Es ist weitestgehende Tischversorgung bei Speis & Trank. Auch wenn das Bier im Einkauf teurer geworden ist, wird die Mass `Allgäuer Büble Festbier` für kellnerfreundliche 9 Euro verkauft! Simone Seegrefe bittet ihre Crew, dass sie `aktiv am Gast` ist. Diesen Appell würde ich mir häufig von gastronomischen Führungskräften wünschen.

Am heutigen, ersten, Abend sind über 900 Tickets verkauft worden. Hinzu kommt noch spontanes Feiervolk, welches den Einlass an der Abendkasse regelt. Der morgige, zweite Abend, ist mit knapp 1200 Gästen seit Wochen ausverkauft. Hagen kann Oktoberfest – in der Woche, nachdem die Original Wiesn in Minga die Pforten geschlossen hat.

Das ist von daher sinnvoll, da somit die Festzeltcombo DREISAM LIVE zum neunten Mal in Hagen aufspielen kann. Die fünf Vollblutmusiker spielten zuvor sechzehn Tage auf der Münchener Theresienwiese. Ihr Stammhaus ist dort der `Goldene Hahn` von Familie Able. Die Herren haben also anständig im Süden der Republik geprobt – für das bandinterne Tourhighlight im Wasserlosen Tal von Hagen.

Mein hausinterner Blick gilt heute dem zehnköpfigen Team an der Tresenstrasse. Sechs Zapfstationen sind in zwei Reihen aufbaut. Die hintere Reihe zapft das bajuwarische Festbier vor. Die Aktivkellner:innen kommen mit den Bestellungen an und werden von der vorderen Zapfreihe mit den notwendigen Getränken versorgt. Das System läuft vom ersten Moment an gut – ich kann mich persönlich davon überzeugen, da ich bereits um 18:15 h `die erste Halbe` im Anschlag habe. Süffig.

Fünf Minuten später beginnt der Einlass – auch für die Zapfstrassencrew das Startsignal: ab 18:25 h kommen die ersten Bestellungen herein. Um 18:28 h folgt der erste Zapfhöhepunkt des Abends: die Jungs vom Fussballclub aus Eindhoven bestellen zum Auftakt 27 (!) Maß Festbier. Während der Kellner die Bestellung an den Tisch bringt, kommen einige Kicker bereits aus dem Saal zurück: es war nicht die erste Bestellung des Tages – und es wird nach dem Weg zum Herren-WC gefragt. Ein Auftakt nach Maß!

Im Saal der Stadthalle herrscht schummriges Licht und es läuft etwas bayrische Musik leise im Hintergrund. Die Reihen füllen sich und die Gäste decken sich mit den Getränken ein – und teilweise auch mit einem Abendessen. Die Auswahl ist oktoberfestwürdig:

1/2 Hendl vom Grill, Haxn (900 gr.), Leberkäs mit süßem Senf und Semmelknödel mit einer Schwammerlsauce als vegetarische Variante…und frische Brezeln sind auch im Angebot. Die Küche hat bis 22 h geöffnet. Bin mir sicher, dass ich später mal eine Haxe probiere.

Hausherr Volker Wolf, im legeren Trachtenoutfit mit weißem Hemd und lederner Kniebunthose, kümmert sich persönlich um die niederländische Soccertruppe. Es gibt eine Runde `Wiesn Zenzi` aufs Haus. Durch die Halle hört man das prasselnde Klopfen von kleinen Schnapsfläschchen.

Den Schnaps bringen die Kellner:innen nicht an den Tisch. Dafür gibt es im Saal eine extra eingerichtete Schnapsbar – mit Freiverkauf.

Martina Wippermann und ihre Mitarbeiterin führen die Schnapshütte, in der der gute alte Weinbrand/Cola mittlerweile Rüscherl heißt, der Williamschristbirnenlikör als `Wiesn Zenzi` durchgeht und ich mich mit den beiden Damen frage, woraus ein Zirbenschnaps besteht. Zur Hilfe kommt der KESH-Oktoberfestlenker Jan G. Dittmer. Der Fachmann erzählt vom Extrakt der Kieferzapfen. Mir sagte das bis dahin nichts…und der Probetrunk auch nur bedingt zu.

Fünfundzwanzig Minuten nach der ersten Bestellung schaue ich wieder an der Zapfstrasse vorbei. Marcus Seegrefe aus der zweiten Zapfreihe hat bereits das erste 50-Liter-Fass ausgetauscht! Zum zehnköpigen Tresenteam gehört auch ein geschulter Logistiker – das leere Fass wird ebenso schnell entsorgt, wie die Getränke- und Gläservorräte aufgefüllt werden.

Stelle mich zu Melanie Pechert, der heute die Bon-Kontrolle zugeteilt wurde. Die Kellner:innen zahlen bei ihr, mit einem Wertmarkensystem, die Getränke. Die Schlussabrechnung wird zum Feierabend dann mit der Gastroleiterin vorgenommen. Melanie Pechert gehört zum vierten Mal zum Team des Oktoberfestes. Sie ist dankbar, heute an der Bon-Kontrolle eingesetzt zu werden. Notfalls steht am Kontrolltisch ein Stuhl zur Verfügung – das mindert die Gefahr auf etwaige Verletzungen beim Geschäft `aktiv am Gast`.

Eine Stunde nach dem Einlass betreten Radio-Hagen-Gastgeber Timo Hiepler und der Oktoberfestcheforganisator Jan G. Dittmer die Bühne der Stadthalle. In ihrer Begrüßung sind sich die beiden Krachledernenträger einig: `wir werden noch ein paar Tage von diesem Abend erzählen`!

Hiepler und Dittmer geben die Bühne frei für die fünf Herren aus Garmisch-Patenkirchen: der Rupi, der Waggi, der Jojo, der Markus und der Simon zünden als DREISAM LIVE ihr musikalisches Feuerwerk durch den Abend. Wenn auch im ersten Teil die Blas-, Walzer- & Marschmusi aus der Alpenregion vorherrscht, gehen bereits nach wenigen Minuten die Bierkrüge in die Höhe und die ersten Banksteher sind erkennbar. Oder wie es der Kenner der bayrischen Brauhaustradition ehrfürchtig intoniert: `Ein Prosit der Gemütlichkeit`!

Mit angemessenen zwei Schlägen bringt Timo Hiepler um 19:45 h den offiziellen Fassanstich hinter sich.

O zapft is!

Nach einer knappen Stunde macht DREISAM LIVE eine erste Pause. Das gibt mir die Möglichkeit nach dem Team an der Zapfstrasse zu schauen. Treffe auf eine enorm relaxte Kompanie, die mit einer erstaunlichen Ruhe ihrer Arbeit nachgeht. In dieser Konstellation haben die 10 Personen noch nie miteinander gearbeitet – und dennoch sieht es höchst professionell und kollegial aus.

Während ich mir das Treiben der zapfenden, kellnernden und bonkontrollierenden Mitarbeiterschaft anschaue, nutzen die Gäste die Musikpause für zunehmende WC-Gänge. Das `Allgäuer Büble` wirkt. Um dem zunehmenden Harndrang zu entrinnen, werden bei den Gästen augenscheinlich die Gebinde kleiner. Beim niederländischen Trachtenclub gibt es mittlerweile nur noch vereinzelte Bestellungen von ein paar `Halben` – zeitgleich wird die Bestellfrequenz bei den Damen am Schnapsstand höher. Sie haben an Erfahrung(wohl nicht durch Eigenkonsum)gewonnen. Die hochprozentige Haselnuss-Variante soll der Hit im Angebot sein. Derweil bin ich mir sicher, dass ich später einen weiteren Zirben-Versuch starten werde (Eversbusch hatte bei mir gottseidank auch eine zweite Chance bekommen)!

DREISAM LIVE kehrt auf die Bühne zurück und zieht das Tempo an. Als sie zu den Tönen vom Nationalösi Gaballier greifen, gönne ich mir im Foyer beim Tresenstrassenkollegium eine Auszeit mit einem Festbier. Treffe dabei auf Simone Seegrefe. Sie ist zu diesem Zeitpunkt zufrieden mit der Veranstaltung und ihrem Team – zumindest großteils, wie sie nachfasst.

Es ist kurz vor 21 h, als Hiepler & Dittmer zur Bespassung aufrufen. Jeweils 8 Frauen und 8 Herren treten im Maßkrugstemmen gegeneinander an. Eine Grundschullehramtsanwärterin gewinnt nach 02:55 Minuten bei den Damen. Finde, das ist ein hoffnungsfroher Ausblick in unsere Zukunft bei Bildung und Erziehung. Bei den Herren muss nach achteinhalb Minuten ein Stechen zwischen zwei Kontrahenten entscheiden. Da beide dann doch eher nicht jodeln konnten, wurde der erste Preis geteilt. Die drei Gewinner:innen haben zwei Eintrittskarten erhalten – für das Oktoberfest 2026.

Apropos Bespassung: Im Foyer der Stadthalle sind zwei, bestens frequentierte, Fotowände aufgebaut, die reichlich genutzt werden. Erinnerungsfotos mit der Mannschaft, dem/der Partner:in, dem Freundeskreis oder wer gerade noch so greifbar war.

Es geht auf 22 h zu. Ich muss mal langsam meine Haxe bestellen. Der junge Kellner lässt mir einen Gruß von Simone Seegrefe ausrichten: ich kann mein Essen gefälligst selber holen! Jawohl, Chefin! Mir war gar nicht bewusst, dass ich auch diesbezüglich zur Crew gehöre. Die Gastroleiterin nimmt sich meiner an und legt beim kochenden Kollegen ein gutes Wort für mich ein. Wenige Momente später sitze ich am Tisch im Restaurantbereich, welcher heute als Personal- und Lagerraum genutzt wird. Bin begeistert von der Haxe, die sich bestens vom Knochen löst und wunderbar zart ist.

Bei meiner Rückkehr in den Festsaal gibt es adäquate Partymusik – der Oktoberfestabend nimmt seinen positiven Verlauf: immer mehr Bänke werden betanzt, immer mehr Männer nehmen sich gegenseitig in den Arm und immer mehr Pärchen knutschen wild herum. Schaue mir die Szenerie an. Über 900 glückliche Menschen feiern ausgelassen miteinander. Es ist eine wunderbare Stimmung in der Halle, die Band spielt die Gassenhauer vom Skandal im Sperrbezirk, Macarena und Coco Jambo. Das Publikum ist generationenübergreifend und bunt gemischt. Weit über 80 Prozent der Gäste sind in der Tracht gekommen. Überall Dirndl und Krachlederne. Ist dieser Zuspruch in den vergangenen 20 Jahren eine Heimatnostalgie? Eine Art Herbstkarneval? Ich will gar keine Sozialstudie vornehmen, sondern freue mich über die feiernde Meute! Noch mehr freue ich mich, dass immer noch Stimmungsmoderationen gelingen:

Zickezackezickezacke…Hoihoihoi

und besonders für das Herz des Ruhrgebietlers

Ladiladiladiladiho…BVB 09!

DREISAM LIVE geht in die nächste Pause. Treffe die Band im Backstagebereich, wo sie gemeinsam mit den Herren Hiepler, Wolf und Dittmer eine berechtigte Auszeit genießen. Anders als bei den Auftritten beim Münchener Oktoberfest, gönnen sich die Musiker beim ersten Hagener Abend durchaus auch mal ein, zwei alkoholische Getränke. Vor Jahren lernte ich die Wodka-Kirsch-Leidenschaft von EXTRABREIT kennen. Auch bei der DREISAM LIVE-Truppe geht es eindeutig um die Aufnahme von Obst – in Form von Eckes Edelkirsch.

Mit der Bühnenmannschaft des Abend trank ich meine erste Goassmass: 0,5 Liter Cola plus 1 Pinnchen Edelkirsch plus 0,5 Liter bayrisches Dunkelbier plus einem weiteren Pinnchen Edelkirsch! Ein süsssüffiges Gebräu.

Der kleine Backstage-Austausch war angenehm. Verweilte dort mit dem Radio-Mann Hiepler noch etwas, als DREISAM LIVE bereits wieder auf der Bühne war. Siedepunkt bei der Festgesellschaft: die Coverversion von `Bella Napoli`.

Auf meinem Weg zurück in den Festsaal zählte ich gegen 23:30 h die leeren Bierfässer – mittlerweile waren 25 Fässer geleert. In der letzten Stunde waren 5 dazugekommen.

An der Tresenstrasse hat bereits ein Teil des Teams Feierabend gemacht. Die charmante Dienstbeflissenheit ist dennoch weiter gegeben.

Die ersten Gäste gehen (die Fussballer aus dem Nachbarland hatte ich schon länger nicht mehr gesehen) und mir wird bewusst, dass ich höchstens 10 der Gäste persönlich kannte. Wie viele Hagener:innen waren dort und wo kommen die anderen Menschen her (außer aus Eindhoven)?

Mit einem alten Kumpel aus Kindheitstagen und seiner Freundin stehe ich beim letzten Live-Block an den Stehtischen kurz vor der Schnapsbar. Wir bewundern die letzten 200 Handylichter die glückselig und alkoholtaumelnd zu Robbie Williams ANGELS geschwungen werden. Es ist der richtige Moment, um den zweiten Versuch mit dem Zierbes-Schnaps zu machen! Jan G. Dittmer ist der festen Überzeugung, dass es ein gutes Getränk ist – ich habe da weiterhin meine Bedenken.

Um 01:00 h ist das Fest vorbei. Das Team der KESH fängt an, die Halle bereits für morgen wieder vorzubereiten. Tische und Bänke werden gesäubert und neu justiert. Simone Seegrefe hat die Kellner:innen abkassiert und die Jungs von DREISAM LIVE kommen zur Schnapsbar. Ich rede noch mit einer Frau, die mir ihre Handynummer aufgeschrieben hat – ich soll mich melden!? Bin ich für sowas nicht mittlerweile zu alt? Es stellt sich raus, dass sie ein paar Tipps über die Schreiberei haben möchte. Immerhin habe ich ja bereits ein Buch veröffentlicht!

Verabschiede mich (auch vom Rest der Zapfmannschaft) und freue mich, dass vor der Tür direkt ein Taxi frei ist. Der Fahrer möchte wissen, wie die Veranstaltung war? Ich bin voll des Lobes und glücklich darüber, schnell zuhause zu sein!