Es folgen für mein Jahresprojekt als Stadthallenschreiber noch zwei Konzerte im Dezember – aber ich bin mir sicher, dass ich heute mein ganz persönliches Kulturhighlight des Jahres erlebt habe. Also vorab: wer die Möglichkeit hat, sich das Programm ‚Das ernsthafte Bemühen um Albernheit‘ von Christoph Maria Herbst und Moritz Netenjakob anzuschauen, sollte dieses unbedingt machen. Dringende Empfehlung.
Bin bereits um 18:30 Uhr in der Halle und beziehe Stellung im Restaurant, wo ich gestern noch selber auf der Bühne stand. Schaue mir heute den Erfolg vom PRIORITY ROOM an. Seit Anfang 2024 kann man als Gast in der Stadthalle ein Zusatzticket zu kaufen. Mit diesem hat man die Möglichkeit, sich eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn und in der Pause an einem kulinarischen All-Inclusive-Buffet zu stärken.
Kalt/warme Vorspeisen, mehrere Hauptgänge (immer mit veganer Option), Desserts und diverse Getränke stehen zur Verfügung. Das Angebot wird bestens angenommen. Auch heute sind bereits um 19:00 Uhr knapp 100 Personen im Restaurant – am separaten Eingang ausgestattet mit dem erkennbaren PRIORITY ROOM-Armband. Meistens handelt es sich um Pärchen und nur wenige größere Gesellschaften, die sich an dem Angebot von Chefkoch Christoph Heuer vergnügen. Im Restaurant wird er kollegial begleitet von vier Servicekräften, die den Gästen beratend zur Seite stehen und beim Buffet nachlegen.
Bin doppelt beeindruckt von der Hundertschaft im PRIORITY ROOM: einerseits herrscht eine Art „gefräßiger Ruhe“, die ich bei so vielen Menschen nicht erwartet hätte und zweitens beeindruckt mich der Singlemann im auffallenden Neonshirt, der die Zeit und das Eintrittsgeld als Buffetfräse optimal zu nutzen weiß. Apropos Eintrittspreis. Derzeit liegt er bei sehr fairen 22,00 Euro pro Person.
Nach dreißig Minuten ist der Sturm auf das Hauptgangbuffet abgeflaut (mit Ausnahme der Neonfräse), die Gäste verlagern sich an die beiden Kaffeemaschinen und die Dessertauswahl. Auch ich lasse mir das Angebot schmecken. Beim Putenbraten kann ich mich kaum zügeln. Sehr lecker. Dazu zwei kleine Schälchen mit italienischen Antipasti und etwas Karottensalat – für das gesunde Gewissen.
Gegen 19:50 Uhr leert sich das Stadthallenrestaurant. Die Gäste werden zu ZuschauerInnen im nebenliegenden Saal. Man nimmt die Plätze ein. Der Veranstalter hat mich in Block A, Reihe 10 auf die Plätze 1 und 2 eingecheckt. Das sind sehr gute Plätze. An meiner Seite ist meine langjährige Bühnenkomplizin Britta Diedrich, mit der ich diverse Lesungen bestreite. Wir wollen uns mal bei den Könnern der Szene anschauen, was wir vielleicht in unseren Programmen noch verbessern können.
Die Bühne ist mit einem Tisch, zwei Stühlen, zwei Mikrophonen, einem Kaffeebecher und einem Wasserglas ausgestattet. Der Bühnenvorhang im Hintergrund ist dezent spotbeleuchtet. Saallicht aus. Kleine Ansage zur Mobiltelefonnutzung aus dem Off. Dann betreten Moritz Netenjakob und Christoph Maria Herbst die Bühne. Eine Bekannte hatte im Sommer bereits das Programm in Düsseldorf gesehen und war voll des Lobes. So richtig konnte ich mir aber noch nicht vorstellen, welches humorige Feuerwerk die beiden Herren in den nächsten 110 Minuten abfackeln würden.
Höflichkeitshalber stellten sie sich gegenseitig vor. Netenjakob erzählt nicht, dass Herbst aktuell als Werbeikone für ein amerikanisches Fastfoodunternehmen und Erdnussflipps tätig ist. Stattdessen verweist er auf die Pep-Guardiola-Frisur, die diversen Filmpreise und die irgendwie erfolgreiche Klarinettenvergangenheit von seinem Bühnenpartner.
Herbst verweist auf bei dem erfolgreichen Comedyautoren aus dem Brainpool-Hause auf die legendäre Wochenshow und etliche weitere Formate der Kölner Privat-TV-Sender. Netenjakob ist nebenbei noch Schriftsteller (aktuell: Der beste Papa der Welt), seit 20 Jahren mit unterschiedlichen Programmen auf den Bühnen der Republik unterwegs und auch preisdekoriert.
Man darf sich die Frage stellen, ob Herbsts Bayrischer Filmpreis oder Netenjakobs ‚Mindener Stichling‘ die höhere Auszeichnung ist.
Es folgt eine Hommage an Vicco von Bülow, jenem Loriot, dem beide Bühnenprotagonisten einen Teil ihres Humors verdanken – seit der jeweiligen Kindheit. Einen literarischen Abend mit dem Stück ‚Feierabend‘ zu beginnen, ist schlussendlich auch bereits Humor. Es folgt ein Fußballklassiker, den Netenjakob vor vielen Jahren für den wundervollen Dirk Bach und Hella von Sinnen geschrieben hatte.
Das Konzept des Abends ist somit schnell deutlich: der humorige Austausch im Plauderton gibt die Hinweise auf die folgenden Texte – aus der Feder von Netenjakob und/oder den Szenestars. Wenn ein Programmtitel bereits die Albernheit benennt, darf ein Text von Dieter ‚Didi‘ Hallervorden nicht fehlen. Mit der ‚Kuh Elsa‘ verneigen sich Herbst und Netenjakob vor der frühen Comedysendung ‚Nonstop Nonsens‘. Die lief, als es das Wort Comedy in Deutschland noch überhaupt nicht gab.
Die Beiden erzählen von ihrer Verwandtschaft: Tante Henny und Onkel Helmut sind die Senioren, deren Lebenserkenntnisse für ausreichend Input zu neuen Bühnenprogrammen oder Filmszenen herhalten. Auch hier beziehen sich Netenjakob und Herbst auf Loriot. Die Kunst ist es, den Leuten zuzuhören und den Alltagshumor aufzuzeichnen. Humor, der wahrscheinlich nicht immer ganz freiwillig passiert.
Apropos Filmszene: wenn Christoph Maria Herbst im Haus ist, muss man natürlich auch über seine tragikkömidiantische Figur Bernd Stromberg sprechen. Der Hinweis auf den Kinofilm, der kommende Woche anlaufen wird, wird ergänzt durch die persönliche Top-5 der bestens Stromberg-Sprüche. Herbst gefällt da aktuell wohl am besten die geradezu unerschütterliche Lebensweisheit: Man sollte den Arsch nie höher hängen, als man scheißen kann!
Der ganze Abend ist von Anfang an eine wunderbare, entlastende, befreiende Witzshow. Persönlich kann ich mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so häufig und laut gelacht habe. Moritz Netenjakob und Christoph Maria Herbst wissen überzeugend zu unterhalten.
Vor der Pause gibt es noch einen Einblick in die vermeintlichen Tagebücher von Joachim Sauer – bekanntermaßen dem Gatten der Bundeskanzlerin a.D.! Die Party in der Kreuzberger Wohngemeinschaft von Anton Hofreiter und Claudia Roth (4. Etage, ohne Aufzug) möchte man gerne persönlich miterlebt haben.
In der Pause geht es zurück in den PRIORITY ROOM. Die Zeit reicht für ein Kaltgetränk und eine weitere Scheibe vom Putenbraten. Man sieht in der Pause in glückliche, dauergrinsende Gesichter. Der Erfolg vom Bühnenduo.
Das viereinhalbminütige Frühstücksei von Loriot ist der Einstieg in den zweiten Teil des Programms. Ein unvergesslicher Klassiker der Situationskomik.
Netenjakob verweist darauf, dass sein Bühnenpartner aktuell einer der erfolgreichsten Hörbuchsprecher ist. Immerhin hat er bereits das Bürgerliche Gesetzbuch eingelesen… – und das Buch von Timur Vermes ‚Er ist wieder da‘. Die ersten Sätze aus dieser vermeintlichen Führer-Auferstehung liest Herbst vor – bis zur Begegnung mit dem Hitlerjungen Ronaldo.
Die besten Momente im Abendverlauf sind die Parodien vom Bühnenpersonal auf etliche KollegInnen. Netenjakob und Herbst stehen sich da in nichts nach und dialekten sich unter anderem durch Udo Lindenberg, Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinski, Willy Brandt – und die diversen Laute der Bundesländer. Welch ein unfassbares Vergnügen.
Mein ganz persönlicher Höhepunkt waren allerdings die drei Hänsel-und-Gretel-Versionen, vorgetragen als Marktschreier, Flugkapitän und Fußballreporter. Das Leben kann so viel Spaß machen. Bitte mehr davon.
Auch die Begegnung von Fußballfans im Opernhaus, welche Netenjakob für die Kölner Stunksitzung schrieb, werde ich mir mal im Internet, gegen trübe Tage, suchen. ‚Ihr seid Geiger, asoziale Geiger,…‘
Zum Schluss gab es noch einen letzten Dank an Loriot: eine Hommage an seine Filme ‚Pappa anteportas‘ und ‚Ödipussi‘. Um 22:15 Uhr ist das offizielle Programm beendet, aber die Herren haben noch eine Zugabe. Herbst lässt noch einmal in das Tagebuch von Joachim Sauer schauen und Netenjakob verneigt sich abschließend vor seinem Nachbarn in der Kölner Südstadt: Wilfried Schmickler.
Die Komplizin Britta und ich verlassen glücklich und immer noch mit Lachtränen versehen die Halle. Was wir für uns gelernt haben? Dialekte sind eine Sprachbegabung und Timing ist keine Stadt in China.
Ich widerhole mich: Dringende Kulturempfehlung:
Das ernsthafte Bemühen um Albernheit
Christoph Maria Herbst & Moritz Netenjakob




