Lasse mich um 16:00 Uhr zur Stadthalle fahren – 45 Minuten bevor die geladene Prominenz über den rosafarbenen Teppich flanieren wird, um bei der mittlerweile zwölften Ausgabe des EAT MY SHORTS-Kurzfilmfestivals für entsprechenden Glanz zu sorgen.
Bin heute der Küche zugewiesen – und somit dem Kollegen Christoph Heuer, der hier seit 2022 das Sagen hat. Als früherer Kochlehrling ist mir eine Gastronomieküche nicht ganz unbekannt und in der Stadthalle kenne ich mich ja entsprechend aus, seitdem ich der Spülerin Brigitte vor einigen Monaten über die Schulter schauen durfte.
Bekomme zuerst die Hygienebelehrung vom Küchenchef, welche ich ebenso zu unterschreiben habe. Hier hat alles seine Richtigkeit.
Christoph gibt mir einen Überblick über das Buffet für circa 450 Personen und den geplanten Zeitablauf. Gemeinsam mit der Kollegin Melanie ist er bereits seit 12:00 Uhr im Haus und trifft die jeweiligen Vorbereitungen, welche sehr relaxt ineinander greifen. In zwei Stunden kommen noch vier weitere Küchenfachkräfte hinzu, sodass die Hauptzeit der Vorbereitung, der Essensausgabe und der Nacharbeit von sechs Personen in der Küche durchgeführt wird – und Brigitte bekommt in der Spülküche ebenfalls noch eine zusätzliche Unterstützung.
Auch ich darf behilflich sein. Fünf Bleche voller bestens gebräunter Bratwürste warten auf mich. Habe die Ehre, diese (mit dem Messer des Chefs) in kleine Stücke zu schneiden. Diese werden am späten Abend bei der Aftershowparty als Currywürste gereicht. Wofür eine Fachausbildung nach fast 40 Jahren noch gut sein kann…
Das Küchenteam kümmert sich derweil um 52 Kilo Gemüse, 48 Kilo Putenbrustgeschnetzeltes, 36 Kilo Lachs, 47 Kilo Dessert, 46 Kilo Vorspeisen, 12 Kilo Reis, 40 Liter Butterspätzle, 32 Kilo Gemüselasagne, sowie etliche Salate und Saucen.
Direkt neben der Küche liegt der Restaurantbereich der Stadthalle. Hier versammeln sich nach und nach die Ehrengäste der Veranstaltung. Alte Hasen und Wiederholungstäter wie Tom Barcal, Claude-Oliver Rudolph und Uwe Fellensiek zelebrieren das jährliche Treffen mit Neulingen aus dem Showbusiness und den örtlichen Förderern und Sponsoren. Vorwiegend stammt die Prominenz aus dem Filmgeschäft. Persönlich freue ich mich über die Anwesenheit vom Schriftsteller Peter Prange. Immerhin sind wir seit Jahren Facebook-Freunde (!?) und seine Neuerscheinungen werden mir regelmäßig von meiner Großcousine zum Geburtstag oder Weihnachten geschenkt. Es ist unsere familiäre Verbundenheit (mütterlicherseits) zum Heimatort Altena.
Schaue mir das Gewusel etwas an und ziehe meinen Hut vor dem Gastgeber und Organisator des Abends. Bernhard Steinkühler sitzt etwas abseits vom „Klassentreffen“ und freut sich darauf, dass nunmehr auch die 12. Version seiner Idee zu einem guten Abend führt.
Im Kronleuchter-behangenen Saal der Stadthalle füllen sich die Reihen an den Tischen und um 18:05 Uhr beginnt der Festivalabend – mit der Vorstellung der Jury: Joern Hinkel, Peter Prange, Uwe Fellersiek, Tina Ruland, Vorjahressieger Lukas Treudler, Martin Gschlacht, Hans-Werner Meyer, Daniela Ziegler, Florian Fitz, Sönke Möhring, Henning Baum und Claude-Oliver Rudolph.
Die Moderation liegt, traditionell, bei der langjährigen Lottofee Nina Azizi. Die ist für das Festival ein wahrer Hauptgewinn und wird am Ende der Veranstaltung von Bernhard Steinkühler bereits, direkt auf der Bühne, für das Folgejahr gebucht. Azizi ist dennoch etwas irritiert, da nach 11 Jahren nicht mehr der Oberbürgermeister Erik O. Schulz die Eröffnungsrede hält. Schulz ist zwar im Publikum – aber nicht mehr als Hagener Oberbürgermeister. Am Ende seiner ersten Amtswoche hat somit „der Neue“, Dennis Rehbein, die Ehre, jenes Festival zu eröffnen, welches kulturell über die Heimatregion herausstrahlt.
Aus über 300 Einsendungen hat Dustin Steinkühler sechs Kurzfilme herausgesucht, die dem Publikum und der Jury in den folgenden 90 Minuten vorgestellt werden. Filme, die das Leben darstellen. Jenes Leben, welches nicht nur aus Liebe, Verständnis und Sonnenschein besteht.
SARDINIEN, HOME, FRAU FLEISCHER WILL STERBEN, HOW TO KILL YOUR FAMILY, TERESA – STATION B und KOMPARSE sind die sechs Filme, die sich mit Themen wie beispielsweise KI, Abschiebung, Todessehnsucht und Pflegenotstand beschäftigen. Wie bereits in den Vorjahren sind es wunderbare Beiträge, von jungen FilmemacherInnen, die zum Nachdenken anregen und im positiven Widerspruch zum Partyambiente des Festivals stehen.
Während die Festivalgäste in der Halle den Filmen und kurzen Interviews folgen, ist in der Küche erhöhte Betriebsamkeit. Die Crew vollendet die Gerichte und fährt die Wärmewagen durch das Foyer in den kleinen Saal, in dem das Buffet aufgebaut ist.
Laut Ablaufplan soll um 20:15 Uhr eine 45minütige Essenspause beginnen. Christoph Heuer ist mit seinem Team lieber bereits eine Viertelstunde früher startklar. Ab 19 Uhr wurden zuerst die Kaltgerichte (Salate, Desserts, etc.) aufgebaut und zum Schluss die Wärmeeinsätze in die Brennpaste-erhitzten Rechauds (so heißen die üblichen Buffetwärmebehälter) gepackt. Mir gefiel besonders, mit welcher meditativen Ruhe der Chef die vielen Dessertgläser mustergültig aufgebaut hat.
Der Küchenchef kennt das Geschäft – Nina Azizi bittet um 20:08 Uhr zu Tisch. Das vierköpfige Küchenteam hat sich am Buffet aufgeteilt – für Hilfestellungen, Nachreichungen, Auskünften und für die weitere Logistik.
Schaue mir das Spektakel der üblichen Buffetschlacht in der nächsten halben Stunde von der Seite an. Christoph Heuer ist zu diesem Zeitpunkt enorm entspannt. Auch er beobachtet das Treiben an der Speiseausgabe, ordert beim Kollegen Hanjo Junge in der Küche weitere Behälter und weist sein Team an, welche Ausgabestelle nach 20 Minuten, und dem ersten Ansturm, bereits wieder zurückgebaut werden kann.
Nehme mir eine Portion Reis mit Putengeschnetzelten und etwas Gemüse, sowie ein Schälchen von der Roten Grütze! Gehe damit an Tisch 73 im Block C. Hier wurde ich heute platziert – gemeinsam mit der Stadthallenkollegin Antje Münch-Lieblang, die das EMS-Spektakel auch einmal erleben möchte.
Außer uns sitzen noch zwei Damen an dem Tisch, die augenscheinlich in keinem persönlichen Zusammenhang stehen und ein (Ehe-?)Paar, welches zum zweiten Mal das Kurzfilmfestival besucht. Erkläre dem Herrn, dass ich mir Notizen als Stadthallenschreiber mache und verspreche, den Tisch 73 als eine positive, freundliche Gemeinschaft zu beschreiben. Das ist auch nicht geflunkert. Der Herr und die Hallenkollegin beschäftigen sich zwischenzeitlich mit dem Retrokaugummiautomaten vom Sponsor Thomas Gebehenne und seinem Ideenpool. Der Kaugummiautomat gehört zur 80-/90-Jahre-Deko im Saal und im Foyer – Hinweise auf die seinerzeit modernen Musiksender VIVA & MTV, auf den Zauberwürfel und den Nintendo Gameboy. Schöne, alte Zeit.
Schaue einmal im Backstagebereich, wo noch eine kleine Variante des Buffets aufgebaut ist. Während der Pause tagt hier die Jury zur Preisvergabe – und wird selbstverständlich ebenso verköstigt.
Auf dem Weg zurück in die Halle besuche ich noch kurz die Toilette und stehe neben Henning Baum und Hans-Werner Meyer am Pissoir. So nah an der Prominenz bin ich sonst eher nicht – erfahre aber hier bereits etwas über das Abstimmungsverhalten der Jury.
Schaue erneut in der Küche herein, wo das Team die Speisen bereits wieder aus dem mittlerweile geschlossenen kleinen Saal zurückgebracht hat. Die Reste werden verräumt. Saucen und Platten, die „nicht vor dem Gast waren“, werden eingefroren, während zeitgleich die Brezeln für die folgende Aftershowparty gebacken werden. Zu meiner Verwunderung sind erneut etliche Bleche mit Bratwürsten im Konvektomaten. Christoph Heuer arbeitet sicherheitshalber noch einmal nach – damit die hungrigen Gäste später ausreichend Schlemmen können.
Gegen 21:20 Uhr begrüßt Nina Azizi das Publikum zum zweiten Teil des Abends – der Verleihung von mehreren Awards. Neben dem Jury-Preis für den besten Kurzfilm gibt es sechs weitere Verleihungen: Daniela Ziegler wird für ihr Lebenswerk ausgezeichnet, Hennig Baum für seine schauspielerische Vielseitigkeit. FRAU FLEISCHER WILL STERBEN erhält den Drehbuch-Award, den dritten Platz der Jury teilen sich HOME und HOW TO KILL YOUR FAMILY, Platz 2 geht an die Komödie KOMPARSE.
Der überragende Film des Abends mit vier Auszeichnungen (Kamera, Schauspielleistung, Publikumsaward & Jury-Auszeichnung) ist TERESA -STATION B von Katharina Sporrer. Die Drehbuchautorin Jennifer Nedlin sammelt die Preise ein und gesteht, dass sie nur mit einem kleinen Rucksack angereist ist! Wie die Auszeichnungen, unter anderem der ADAM-Award und das obligatorische Gemälde von der Düsseldorferin Ivanka Hammerle-Szmyt, Hagen sicher verlassen werden, konnte die lächelnde Preisträgerin noch nicht klären.
Als die Moderatorin Nina Azizi um 22:10 Uhr den offiziellen Abend beendet, ist die Küche bereits wieder aufgeräumt und sauber. Mehr als die Hälfte der Küchencrew ist bereits im Feierabend. Die Hauptarbeit liegt aktuell bei dem Duo in der Spülküche.
Während sich der Saal langsam leert (nachdem die Gäste mit der Prominenz noch etliche Selfies gemacht hatten), verlagert sich die Feiergesellschaft mit dem Zusatzticket für die Aftershowparty in das Sinfonium (fka. Kegelbahn der Stadthalle). Unter anderem treffe ich das Pärchen von Tisch 73 dort wieder – die Dame ist auf dem Weg zur Garderobe, um ihr Handy zu holen. Auch sie braucht noch dringend ein Selfie mit Henning Baum!
Es ist die Zeit des Smalltalks und des Zuprostens. Die Menschen der Hagener Stadtgesellschaft feiern sich und die geglückte zwölfte Auflage des Kurzfilmfestivals von Bernhard Steinkühler. Persönlich plausche ich mit dem Hausherrn Volker Wolf, mit Christian Scheibe von der Wohlbehagen-Unternehmensleitung, dem Kreativmenschen im Testbildanzug Thomas Gebehenne und der ebenso kreativen Stadthallenkollegin Antje Münch-Lieblang, dem Markthändlerpaar Katja und Frank Obermeit, dem Netzwerker Erich Alshut und seiner Lebensgefährtin Ulrike Nell, der umtriebigen Unternehmerin Stefanie Kamp und dem Ex-OB Erik O. Schulz. Der erzählt mir, dass ihn Claude-Oliver Rudolph heute noch gefragt hätte, wie denn der langhaarige, grüne Politiker heißen würde, der ihn damals nicht zum Intendanten machen wollte. Dem „Dieselheizer Ario“, wie Rudolph im Filmklassiker „Das Boot“ hieß, danke ich für eine zugesagte Haarpracht, die mich nie schmückte – und den Grünen lasse ich mich lieber zuordnen, als mir eine gewisse Putin-Nähe unterstellen zu lassen.
Neben den Gesprächen und ein paar Bieren lasse ich mir die Currywurst schmecken – sozusagen mein ganz persönlicher Beitrag zum Gelingen dieses Abends.
Gegen 01:00 Uhr füllt sich der Tanzbereich im Sinfonium: Stargast OLI P. ist angekommen und spielt, wahrscheinlich das dritte Mal an diesem Abend, sein 30minütiges Vollplaybackset herunter. “Flugzeuge im Bauch“ zum Beginn und zum Ende. Dazwischen beatunterlegte Discoklänge zu Achim Reichel, Klaus Lage, Peter Schilling, Robbie Williams und der heimatuntreuen Nena.
Mein Geschmack ist der Auftritt nicht – zeitgleich nehme ich dennoch das feier-&tanzfreudige Aftershowpublikum wahr. Mittendrin das glückselige Pärchen von Tisch 73.
„Und wenn ich geh, dann geht nur ein Teil von mir“ – bin eigentlich bereits auf dem Weg Richtung Taxi als ich mir mit dem Teppichfachmann und Rosa-Elefanten-Freund Sven Fastabend noch einen Absacker gönne.
Lerne dabei Claude Olinger kennen. Ihn habe ich bei meinen persönlichen EAT MY SHORTS-Besuchen bereits häufiger gesehen. Sein Auftritt ist markant und nachhaltig: der Luxemburger ist ein Doppelgänger von Chuck Norris – und als solcher auch für Veranstaltungen aller Art buchbar.
Für das Hagener Kurzfilmfestival wird er nicht gebucht. Aber für ihn und einige seiner Bekannten ist EAT MY SHORTS auch eine Art jährliches Klassentreffen. Man kommt zusammen und freut sich auf ein paar gemeinsame Festivalstunden. Olinger ist enorm sympathisch und erzählt von Treffen mit seinem Idol und gute Anekdoten aus dem amerikanischen Alltag eines Doppelgängers!
Um 02:30 Uhr endet für mich mein amüsanter Arbeitstag.
Danke an Christoph Heuer für etwas currywurstschneidende Vergangenheitsbewältigung und an Bernhard Steinkühler für das Engagement – für Hagen, aus Hagen und über Hagen hinaus.




