Stadthallenschreiber Sven Söhnchen XXII | Semino Rossi – Feliz Navidad am 13. Dezember 2025

Mache mich mit leichter Melancholie auf den Weg in „meine“, mir liebgewonnene Stadthalle. Seit dem Neujahrskonzert am 01.01.2025 besuchte ich nunmehr 22 Veranstaltungen und durfte diese als Stadthallenschreiber begleiten. Es war mir ein Fest. Eine Ehre. Eine Freude.

Eigentlich wollte ich in der Vorwoche aufhören – was sollte nach den extrabreiten Lokalhelden noch kommen?

Irgendwer aus der Hausleitung gab mir allerdings die Empfehlung, mir den drittbekanntesten Argentinier, nach Evita Peron und Diego Maradona, anzuschauen. Im Vorjahr hatte er die HagenerInnen in der Halle verzaubert – und ich hatte die Chance, mir noch einmal eine Legende anzusehen, die ich ansonsten eher selten zu Gesicht bekommen würde.

Gönnte mir am Nachmittag den Spass, die begnadete Persiflage von Bastian Pastewka anzuschauen – man merkt in der Darstellung vom Spassgenie Pastewka die Achtung vor Semino Rossi.  Bei der weiteren Recherche im weltweiten Netz fällt auf, dass man von dem heutigen Bühnenprogramm magische Momente (so heißt wohl auch zufällig die aktuelle Veröffentlichung auf Silberlingen, Vinyls (?) und allen relevanten Streamingdiensten) erwarten darf – mit der Warmherzigkeit, der Emotionen und der vollen Lebensfreude der südamerikanischen Heimat von Herrn Rossi.

Nehme mal wieder den öffentlichen Personennahverkehr auf dem Weg zur Stadthalle – mit einem kulinarischen Zwischenstopp auf dem heimischen Weihnachtsmarkt. Statt dem Frittierfisch der Vorwoche, gab es heute einen traditionellen HotDog auf dem Adolf-Nassau-Platz. Speise hier zur Weihnachtssaison regelmäßig und ärgere mich jedes Mal über den literarischen Verriss aus einem Tourbuch des Ruhrkomödianten Hennes Bender, der sich mal sehr abfällig über die Köstlichkeit der Heimatstadt lustig machte. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum Bender noch nie in der Stadthalle auftreten durfte – er würde mit diesen HotDogs (und Pommesbrötchen) auf der Bühne torpediert werden. Aber ich schweife vom Thema ab…

Auf der Busfahrt treffe ich etliche bekannte Gesichter: die Einen fahren zur Weihnachtsfeier beim Sportverein, der Nächste zum Umtrunk mit alten Kumpels, die Leuchtkettenbehangenen zum Guildo-Horn-Konzert im Theater Hagen – und ein paar Jugendliche, verlieren/werfen WodkaLemonDosen durch die Linie 519. Schöne, heile Welt, Digga!

Um 19:10 Uhr bin ich an der Halle und reihe mich in den Warteschlangen ein. Es wird ein Schlagerabend – in diesem Fall senke selbst ich, mit meinen 56. Lebensjahren, den Altersdurchschnitt. Vernehme 80jährige Herren im Camp-David-Outfit und frage mich, wie alt eigentlich der Bohlen ist?! (71…falls jemanden nachschauen möchte)!

Unter dem vorwiegend weiblichen Publikum entdecke ich drei jüngere Herren. Sie erinnern mich an die Truppe beim AMIGOS-Konzert, welches ich 2025 ebenfalls in der Stadthalle besuchte. Ein paar Arbeitskollegen, dem Schlager verbunden, wollen einen freudigen Abend genießen. Sie starten mit einer entscheidenden Frage: was ist eigentlich das hochprozentigste Getränk am Tresen? Die Jungs, die direkt im Kontakt mit einer über 70jährigen, tanzfreudigen Silbersurferin sind, werden mit einem Weißwein bedient.

Zu dem greife ich auch – allerdings verbunden mit der Frage, ob sich für ein Konzert mit einem Argentinier ein Wein adäquat verhält, oder ob bei der fleischlastigen Grillfreudigkeit der Südamerikaner nicht ein Bier angemessener wäre!?

Bevor ich die Halle betrete, treffe ich auf ein weiteres, mir  entfernt bekanntes Pärchen: sie wollte ihrem Mann eine Karte für Rod Stewart schenken – das Konzert war leider ausverkauft. Semino Rossi ist die Alternative…- Argentinien? England? Falkland? Schön, wenn die Welt in Frieden leben…könnte!

Der Veranstalter weist mir einen Platz in Block C, Reihe 13, Platz 20 zu – in direkter Nachbarschaft zum Mischpult und mittigem Bühnenblick. Neben mir nimmt Erich Alshut mit seiner Lebensgefährtin Platz. Daneben eine Dame, die bei den AMIGOS bereits neben uns saß. Diese Dame ist Schlagerfan – Erich, den ich in diesem Jahr in der Stadthalle kennen- & schätzengelernt habe, und ich geben das bisher noch nicht so unumwunden zu.

Bevor pünktlich um 20 Uhr das Saallicht ausgeschaltet wird, gibt es noch einen Werbeblock für RADIO SCHLAGER PARADIES und dann erscheinen zwei Backroundsängerinnen im Pailettenkleid auf der Bühne. Semino Rossi wird sie später, dem Titel des Abends entsprechend, als Engel vorstellen.

Der Star des Abend betritt unter Beifall die Bühne. Der 63-jährige Wahl-Österreicher, der 2/3 seines Lebens in Europa lebt, freut sich „hier in Hagen zu sein“! Es ist angerichtet: die magischen, weihnachtlichen Momente können, mit dem aktuellen Albumtitel, beginnen: Semino Rossi und sein Hagener Publikum sind bereit für „120 Minutos“, in denen alles erlaubt ist!

Erich und ich zucken kurz zusammen! Was ist dieses „alles“!? Wir beruhigen uns, als nur von Singen & Tanzen die Rede ist!

Die ersten Lieder „Bella Romantica“ und „Muy Bien“ erinnern etwas an eine Seniorensitzgymnastik, und ich erschaudere erneut, als Herr Rossi sein alterndes (allerdings feierlauniges) Publikum dazu animiert „nun mitzuspringen“. Hatte weder ein verstärktes Notfallteam zuvor wahrgenommen, noch einen Infostand von Pflege- & Geriatriediensten.

Nur das wir uns hier richtig verstehen: ich mache mich nicht lustig. Semino Rossi bittet bei „Oh no Senoritas“ die Hüften (ob echt oder neu) zu bewegen: links, links, rechts, rechts! Wichtig wäre ihm, dass man die eigenen Hüften bewegt!? Diese Gymnastik bestätigt Semino Rossi als ausreichend für die kommenden drei Wochen. Verschreibt er, nach Konzertende, auch Rezepte für den Orthopädiehandel?

Der 63-jährige verweist auf seine drei Enkelkinder und berichtet, dass „Opa-Sein nichts für alte Leute sei“! Sein erstes Enkelkind ist jetzt 6 Jahre alt. Er wurde in meinem Alter erstmals Großvater! Gut, dass ich kürzlich mit meiner Tochter zu dem Thema gesprochen habe – sie möchte noch nicht…und ich auch keine Opa-Verantwortung!

Schaue zwischendurch durch die Halle – meine Jungs stehen aktuell am Rand von Block D und tanzen befreit auf. Sie haben Spass – und die tanzfreudigen Damen in ihrer Nachbarschaft augenscheinlich auch.

In Reihe 1 von Block B entdecke ich eine Person, die wirklich körperversehrt ist! Ihre Behinderung und Körperfehlstellung macht ihr, gottseidank, nichts aus. Sie steht, genießt und tanzt, dass es eine Wohltat ist. Allein für solche Augenblicke lohnt sich eine solche Veranstaltung.

Eine Wohltat ist ebenso die Berücksichtigung vom queeren Leben in der Schlagerwelt. „Hola, Hola – Hast Du heute Abend Zeit für mich?“ ist so ein Mosaiksteinchen. Da verbeuge ich mich doch mal ebenso ehrfurchtsvoll vor dem Bühnenstar, wie er das macht: eine kleine Verbeugung, mit der Hand auf dem Herzen…und ein gehauchtes „Muchas Gracias“!

Semino Rossi kommt ins Quatschen: 1985 kam er aus Argentinien in unsere Gegend – um Sänger zu werden. Eigentlich, um irgendwann mal in Hagen auftreten zu dürfen. Wir Heimatlichen haben da durchaus Verständnis für. Einige Zeit verbrachte er als Straßenmusikant in den Innenstädten der deutschsprachigen Länder: sozusagen eine österreichisch-argentinische Ein-Personen-Variante der KELLY FAMILY. Bei den beiden Gitarren-begleitenden Liedern, habe ich erstmals ein Gefühl vom Live-Konzert!

Nach dieser Verbundenheit zum Publikum gibt der Gast die Bühne für seinen „Support“ frei. Für das herzzerreißende Duett („Aber Dich gibt´s nur einmal für mich“) gesellt sich das österreichische Nachwuchsschlagersternchen Nathalie Holzner auf die Bühne. Holzner darf nach einer Stunde Bühnenprogramm dem „Opa“ eine Verschnaufpause gönnen – für zwei Lieder übernimmt sie, durchaus würdig, die Bühne. Richtig folgen kann ich nicht – ich hänge bei dem Schlagerklassiker der FLIPPERS meiner partnerschaftlichen Fehlentscheidung der letzten Wochen hinterher. Der Romatikpunkerin wäre es wahrscheinlich gar nicht so genehm, dass ich bei Musik von den FLIPPERS an sie denke!?

Nach meiner Erfahrung mit den AMIGOS und ihrem Gassenhauer über den PHARAO bin ich leicht verwundert, dass auch Holzner ägyptische Töne im Schlager anschlägt: KLEOPATRA reißt mich nicht ganz so mit, wie der nordafrikanische Sound der Ulrich-Brüder.

Gegen 21:10 Uhr übernehmen Semino Rossi und seine beiden Engel wieder die Bühne. Noch einen Schlager, irgendwas mit Liebe, und dann wird es weihnachtlich in der Stadthalle. In Argentinien singt man von der „Blanca Navidad“. Bing Crosby wäre hoffentlich ebenso begeistert von der internationalen Teilhabe, wie das Duo Andrew Ridgeley & George Michael in der deutsch/spanischen Version von LAST CHRISTMAS. Zwischendurch geht es nochmal, weihnachtlich, an die alternden Hüften: JINGLE BELLS können auch als Chachacha getanzt werden. Denke, dass morgen die Anmeldezahlen in den heimischen Tanzstudios exorbitant steigen werden.

Schlussendlich spielt Semino Rossi über 20 Lieder in „120 Minutos“ – fast ebenso viele, wie die Breiten in der Vorwoche an gleicher Stelle. Und dann gibt es noch die Zugabe. Vamos. Zuvor werden Blumen am Bühnenrand verteilt. Diese Ehrerbietung habe ich lange nicht mehr gesehen. Bei meinem Konzertbesuch an gleicher Stelle vor einigen Jahren bei den FLIPPERS hat sich die Generation „80plus“ nicht mit Blumen aufgehalten! Ist Herr Rossi enttäuscht, dass hier keinen beige Wäsche auf die Bühne fliegt!?

Der Konzertabend endet versöhnlich & weihnachtlich. Zum Schluss wird das vielzitierte FELIZ NAVIDAD angestimmt. Die Engel bilden einen chergleichen Choopchopp-Choral und der vollblutdeutsche Kojak-Verschnitt in der Reihe vor mir klatscht anständig neben dem Takt.

Ich bleibe dabei: ich find Schlager toll!

Nehme den Bus zurück in die Heimat. Auch das Guildo-Horn-Konzert im Theater ist vorbei. Der Kumpel versackt wohl noch mit seinen Freunden auf dem Weihnachtsmarkt oder den (hoffentlich) vorhandenen Pinten und die Vereinsfeierer haben sich vielleicht mittlerweile ein Taxi nach Hause genommen. Doof, dass ich die ersten Meter im Bus mit den pubertierenden WodkaLemonAnfängerInnen verbringen musste. Sie hatten die Zeit genutzt…und das gemacht, was wir alle in der Jugend versuchten. Richtig geglückt sind ihnen die „120 Minutos“ nicht. Sie werden auch nicht wissen, dass sie ihren Aldi-Suff Tür an Tür mit Semino Rossi verbracht haben. Egal.

Feliz Navidad.

 

Mir bleibt noch ein „Muchas Gracias“. Für ein spannendes, interessantes, lehrreiches & lehrauffrischendes Jahr in der Stadthalle Hagen. Aber dazu melde ich mich abschließend – ein letztes Mal.