Bereits um 08:00 Uhr beginnt heute mein Arbeitstag in der Stadthalle. Zu meiner eigenen Überraschung bin ich sogar pünktlich. Meine Vespa parke ich um 07:56 h vor der Stadthalle und machte mich auf die Suche nach dem Herrn, der mir mal zeigen soll, wie man die Halle nach einer Veranstaltung wieder sauber bekommt … oder vor einer Veranstaltung.
Zeitgleich trifft sich jene, circa achtköpfige, Mannschaft, die für die Zurechtrückung der Stühle und Tische verantwortlich ist. Das hauseigene Facility-Management, wie die Tätigkeit mittlerweile genannt wird (man sagt ja auch nicht mehr Friseuse) sind die ersten Menschen, die die Halle nach dem Auftritt von Bülent Ceylan betreten. Zwar ist der Bühnenaufbau selbstverständlich bereits am nächsten Tourort – die Stadthalle wird am heutigen Morgen hergerichtet. Am Abend treten dann zwei Juristen auf – zur neumodischen truecrime-Livedarbietung. Ein Podcast zum Anschauen. So ganz sicher bin ich mir noch nicht, was mich hier in 12 Stunden erwartet – aber erstmal will ich ja erleben, wie die Halle ihren abendlichen Glanz entwickelt.
Bin dem Stadthallenmitarbeiter Adam Osinski zugeteilt. Der Herr ist seit zwei Jahren fester Mitarbeiter im KESH-Team, nachdem man entschieden hatte, diesen Part nicht mehr durch Fremdfirmen tätigen zu lassen. Zuvor war Adam bei eben dieser Fremdfirma angestellt und kennt die Arbeit in der Halle schon seit über einem Jahrzehnt.
Man sagte mir, dass ich ihn irgendwo in der Halle finden würde. Dort treffe ich auf mehrere Menschen – zumindest mehr, als ich morgens um 08:00 Uhr an diesem Ort erwartet hätte. Meinen heutigen Kompagnon kann ich nicht direkt erkennen. Es stellt sich später raus, dass ich ihn auch nur kurz in der Halle erblicke: er ist der Mann, der den Staubsauger vom Backstagebereich ins Foyer zieht. Er ist schnell wieder aus meinem Blick, Richtung Küche, verschwunden um einen Moment später auf der Empore zu erscheinen. Schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, blaue Einmalhandschuhe – bin mir sicher, das ist mein heutiger Mann!
Versuche ihm zu folgen, treffe aber nur auf den abgestellten Staubsauger und seine Kollegin, die mit der Arbeit im Foyer betraut ist. Wie ich lerne, geht es dabei vor allem um die korrekte und hygienische Wiederherstellung des Bodenbereiches. Egal, ob hinter der mobilen Theke, dem grünen Teppich oder dem neuen (noch immer frischholzriechenden) Hallenboden. Drehe zwei Runden durch die komplette Halle; erfahre vom Anleiter der Stuhlcrew, das ich in deren Kämmerlein hinter der Garderobe falsch bin und nehme wieder am Mischpulttisch in der Hallenmitte Platz – irgendwann muss Adam O. ja mit der Hallenreinigung beginnen. Das dieses bisher noch nicht geschehen war, erkenne ich an den, in diesem Bereich, liegengebliebenen Werbeflyern: „Diktatürk Ceylan“ lächelt mich vielfach von den Sitzen oder etwas zerknittert vom Boden an.
Werde vom Produktionsmitarbeiter des abendlichen Veranstalters angesprochen: als Stadthallenschreiber kann ich ihm nicht wirklich weiterhelfen, aber der Berliner in München erzählt mir, dass er zuletzt 1988 für „Millionen-Schulze“ in Hagen war – um Zwieback nach Westberlin zu fahren. Er meint, dass sich doch einiges seitdem in meiner Heimatstadt verändert hat. Glaube ich auch.
Nachdem ich Adam Osinski auch bei meiner dritten Hausrunde nicht finde, wende ich mich an Sabine Hartl vom Veranstaltungsmanagement. Über den Hausruf erreicht sie den Kollegen, der gerade seine Frühstückspause macht. Die sei ihm gegönnt – er ist bereits seit 06:15 Uhr in seinem Dienstrhythmus. Der Facility-Manager nimmt sich Zeit für einen kleinen Austausch. Sein üblicher Arbeitstag umfasst die Reinigung der Küche, des Backstagebereiches, vom Saal, den Toiletten, des Foyers und vom Außengelände. Der Mann wirkt sehr relaxt – und zeichnet damit die unaufgeregte, aber bestens ineinandergreifende, Zusammenarbeit des KESH-Kollegiums aus. Adam O. wird heute mit einem Acht-Stunden-Tag auskommen – bei Tanz- & Großveranstaltungen geht ein Dienst auch mal bis zum nächsten Morgen. Und darüber hinaus.
Bei diesen Großveranstaltungen ist Adam stets vor Ort – er ist der Mann für alle Eventualitäten: Scherbenbeseitigung auf der Tanzfläche und/oder die Entsorgung diverse Körperflüssigkeiten an jenen Objektstellen, an denen diese nicht hingehören. Abi-Bälle lassen grüßen. Adam ist sich sicher: „Irgendwie geht es immer!“
Verlasse die Stadthalle gegen 10:00 Uhr, um 10 Stunden später wieder dort zu sein. Kriege bereits etwas Panik, da am Büro die Vespa nicht anspringen will. Nach 10minütiger Ansprache beehrt sich die italienische Legende doch noch und fährt mich zeitig zur Stadthalle.
Gehe meine kleine Runde durch das (natürlich saubere) Foyer, gönne mir ein Kaltgetränk und nehmen wahr, dass der Merchadise-Stand heute einfach auch mal Büchertisch genannt werden darf.
Doktor Alexander Stevens hat wenigstens 6 Bücher veröffentlicht – und der Nachrichtensprecher Constantin Schreiber anscheinend sogar noch mehr. Im Verlauf des Abends erzählt der Doktor, dass man sich seit anderthalb Jahren kennt! Wahrscheinlich hat man sich bei einer Literarturveranstaltung vom SPIEGEL kennengelernt. Die Herren Schreiber und Stevens eint, dass ihre literarischen Werke mit dem berühmten Qualitätsverkaufssiegel „SPIEGEL Bestseller“ versehen sind! Als Jungautor frage ich mich, ob ich die Spiegel-Siegel-Coveraufkleber als Endlosware irgendwo offiziell erwerben kann!?
Treffe auf einige Bekannte, die ich frage, ob diese zumindest wissen, was sie hier heute erwartet!? Mehrfach wurde mir etwas vom Livepodcast erzählt. Podcasts sind mir persönlich suspekt – wer hat, wann, die Zeit, sich wenigstens 90minütige Geschichten anzuhören – außer vielleicht Adam O. wenn er mit dem Staubsauger durch den Stadthallensaal schwirrt?!
Merke, dass ich auch eine zwiespältige Meinung zum Tagesschau-Schreiber habe. Er ist nicht mein Lieblingsnachrichtenansager. Große Teile der Damenwelt sehen das anscheinend anders – der jugendliche Mittvierziger scheint bei der versammelten Weiblichkeit Muttergefühle zu wecken!
Muss mit meiner Kritik an den Äußerlichkeiten allerdings vorsichtig sein: die beiden Bühnenprotagonisten sind immerhin juristisch ausgebildet – auch der Nachrichtensprecher aus Hamburg (naja…ursprünglich aus Cuxhaven) ist studierter Strafrechtler…und der Dr. A. Stevens aus München sowieso.
Es folgt eine zweistündige „truecrime“-Inszenierung – die bühnentaugliche Aufarbeitung einer „Aktenzeichen XY“-Sendung.
Constantin Schreiber vertritt die Anklage und Alexander Stevens die Verteidigung. Das Publikum wird zur Jury auserkoren und darf interaktiv mitentscheiden. Persönlich bin ich gefesselt, als ich bei den Videoeinspielungen die Stimme von der Tagesschaukollegin Susanne Daubner erkenne.
Verhandelt wird, vor knapp 600 Besucher:innen, der Tod einer dreiköpfigen Familie im feinen, bajuwarischen Starnberg. Nur der Hund überlebt. War er der Täter? Wie kam es zur Familientragödie?
Während Schreiber und Stevens die Geschichte vom blutrünstigen Dreifach-Mord oder einem erweiterten Suizid erzählen, denke ich an den heutigen Kompagnon Adam O.! Ist er so etwas wie der „Tatortreiniger“?
Das Vortragskonzept ist total charmant und wirklich blutrünstig-kurzweilig. 2026 kommt Constantin Schreiber mit einem ähnlichen Programm zurück nach Hagen – und tauscht dann Alexander Stevens gegen Jaqueline Belle. Oder tauscht Stevens Schreiber aus!? Völlig egal, die „truecrime.de“-Produktionen tragen sich durch die Mitspielaktionen des Publikums. Schreiber und Stevens geben heute mit ihrem freundschaftlichen Schlagabtausch (und dem eingeübten Spiel zwischen Anklage und Verteidigung) das Team, welches wohl auch personell austauschbar wäre. Persönlich gehe ich wieder hin, wenn Susanne Daubner ebenfalls live ihre Texte einliest!
Steige um 22:20 Uhr wieder auf meine, sofort anspringende, Vespa und mache mich auf den Heimweg – nach einem Abend mit bester Unterhaltung. Morgen früh, ab 06:15 Uhr, wird Adam O. die Reste des heutigen Abends beseitigen…