Stadthallenschreiber Sven Söhnchen VII | Dieter Nuhr – nuhr auf tour am 4. April 2025

Dieser Freitag ist ein sonniger Tag. Bereits am Mittag stelle ich mein Cabrio (geschlossen) auf dem Parkplatz der Stadthalle ab und gönne mir einige Stunden (Arbeits-)Zeit in der Außengastronomie des POTTBLÜMCHEN am Museum. Im heimischen Osthaus-Museum hat Dieter Nuhr vor drei Jahren für einen Monat seine großformatigen Digitalfotografien ausgestellt. Heute wollte ich dem deutschlandweit bekannten Satiriker gar nicht auflauern – aber ich hatte gedacht, dass er sich für das Museum vor dem Hagener Auftritt Zeit nimmt. Hat er nicht.

Mir sind keine Auftritte von Dieter Nuhr bisher bekannt gewesen. Vor einigen Jahren sah ich im TV einen seiner einstündigen Jahresrückblicke, die mich in dem Tempo der Themenvielfalt beeindruckte. Und natürlich kenne ich die Kritik, die man jemandem zuerkennt, der mal (nach eigener Aussage) Gründungsmitglied der Grünen war und heute den (noch aktuellen) Vizekanzler dieser Partei der Öffentlichkeit zum Spott vorlegt.

Auf dem sonnigen Caféplatz treffe ich zufällig den (noch aktuellen) Oberbürgermeister. Der berichtet mir von einem Tag, an dem er mit Dieter Nuhr „um die Hagener Häuser gezogen ist“ und dabei einen wunderbaren, selbstreflektierten und charmanten Menschen kennengelernt hat. Ähnlich Positives, auch über die Kunst der Wortunterhaltung, erzählte mir vor einigen Tagen ein weiterer Mensch aus der regionalen Politblase. Auch der bewegt sich zwischen den grünen und schwarzen Demokraten – und mag den Nuhrschen Humor.

Bin gegen 18:30 h zurück an der Stadthalle, die um 19:00 h ihre Türen öffnet. Lehne mich, sonnenanbetend, an mein Auto und nehme den Elektro-Benz wahr, der 10 Minuten später die Rampe zum Künstlereingang hochfährt. Ein Düsseldorfer Kennzeichen. Mir war nicht bewusst, dass der Künstler aus dem Rheinland kommt. Lasse, mit Blick auf das ankommende Publikum, meine Gedanken kreisen: Wem gehört die Satire? Wem gehört die Kunst?

Das Foyer der Stadthalle füllt sich. Auch ich bin heute „nur“ als Gast mit Interesse am Bühnenprogramm hier. Knapp 1.600 Tickets sind für den heutigen Abend an Menschen verkauft worden, die aus der Region kommen. Die Autokennzeichen sprechen von der Umgegend, aber auch von den Tiefen des Ruhrgebietes – und des Rheinlandes. Wieder sind es überwiegend Pärchen, die teilweise in ganzen Freundes- & Familienkreisen Tickets erworben haben. Der durchschnittliche Gast von Dieter Nuhr hat bereits seinen 50. Geburtstag gefeiert – oder zumindest den 45.!

Gönne mir die Zeit vor der Aufführung, um die kleine, aber sehr feine, Wanderausstellung im Foyer der Halle anzuschauen. Der heimische CARITAS-Verband hat gemeinsam mit dem städtischen Gesundheitsamt und dem Hagener Geschichtsverein knapp 10 doppelseitige Infotafeln konzipiert und aufgestellt – GEGEN DAS VERGESSEN. Es geht um behördliche Gräueltaten während der NS-Diktatur. Die Aussteller wollen „Transparenz schaffen, wo es um Verfehlungen geht, für die wir mit Verantwortung tragen.“ Leider nehmen nur wenige Besucher:innen die Info-Tafeln aufmerksam zur Kenntnis.

Mir wird etwas schwummerig, als ich beim Lesen der Informationen zu den Verfehlungen gegen Homosexuelle, den beiden Herren zuhören muss, die gerade die Demokratiewürde der aktuell erfolgreichen Rechtspartei hochleben lassen. Wieder frage ich mich, wie weit das Spektrum von Satire geht!? Beziehungsweise, welche Bandbreite an wohlmeinender Zuhörerschaft von einem (politischen) Kabarettisten bespielt werden kann.

Wobei auch die Frage zu klären ist: Was ist Kabarett und was ist Comedy? Dieter Nuhr bewirbt sein Programm auf seiner Internetseite mit der zweiten Kunstform.

Und das ist der Auftritt unbedingt: Kunst! Seit jeher streiten sich die Menschen darum, was Kunst ist und was nicht. Es ist jedenfalls eine Kunst, auf eine Bühne zu gehen, auf der nur ein Tischchen mit zwei kleinen Wasserfläschchen steht, ein Mikrofon und ein Ständer für ein Tablet (früher bekannt als Notenpult, oder so). Es ist eine Kunst, zwei Stunden mit diesem Equipment 1.600 Menschen zu unterhalten. Das schafft Dieter Nuhr am heutigen Abend.

Um 20:06 h beginnt das Programm – mit einer halbstündigen Politsatire. Vor der bundesdeutschen Politik gab es zum Programmbeginn den großen Rundumschlag zur Ukraine und zu den Zolldekreten des US-Präsidenten Trump. Geradezu tagesaktuelles Bühnenprogramm.

Es folgt der vielleicht prägnanteste Satz des Abends, den sich nicht nur der amerikanische Präsident merken sollte: „Der eigene Afterausgang ist nicht das Zentrum des Universums“!

Nach einer halben Stunde wechselt die Politsatire in die gesellschaftsrelevanten Themenabteilung: Gendern, Geschlechterkampf, KI, Klimawandel, Wohlstandsvernichtung, Vegetarier versus Fleischesser, Eltern-Kind-Wahrnehmung, sportliche Wettbewerbe, Letzte Generation, Pisa-Studie…alles dabei, was man humorig in die Volksseele verbreiten kann. Selbstverständlich sind auch bei mir Schmunzler und ein paar Lacher dabei – zumindest mehr, als bei dem jungen Mann, der zufällig neben mir sitzt. Frage mich, unter welcher Prämisse er sich das Programm ansieht. Es ist ihm eine zweistündige Auszeit, die sich nur durch die herzchentextende Kommunikation mit einer Person auf seinem Mobiltelefon erträglich gestaltet. Schräg hinter ihm sitzt allerdings ein Pärchen, welches die Gegenseite der Unterhaltung aufzeigt: spätestens im eher unpolitischen, zweiten Teil, des Abends gibt es eine permanente Schnappatmung durch Lachhysterie. Auch sowas kann ansteckend sein.

In der Zugabe fasst Dieter Nuhr die Sinnhaftigkeit seiner Bühnenkunst noch einmal zusammen: an das Gute denken und das Leben genießen. Der Dreck, die Hoffnungslosigkeit und der Tod kommen noch früh genug – hoffentlich mit der Deutschen Bahn…dann haben wir noch etwas Zeit.

Der Abend wirkt nach. Als Mensch, der sich bisher fast drei Jahrzehnte in seiner Heimatstadt mit der Kommunalpolitik beschäftigt und somit seinen Beitrag zur Demokratie tätigt, teile ich viele Statements des fröhlichen Rheinländers nicht unbedingt. Kabarett, Satire und/oder Comedy muss allerdings auch nicht nach meiner Meinungspfeife tanzen (Stichwort: eigener Afterausgang). Und dennoch wurde ich charmant unterhalten – von dem Mann, der da alleine von der Bühne 1.600 Menschen (naja…1.599) erfreut.