Entschuldigung, Chef! Komme mit 10 minütiger Verspätung an der Stadthalle an und habe direkt ein schlechtes Gewissen. Werde allerdings sehr relaxt vom Einsatzleiter der Security-Firma begrüßt! Pano sagt mir, dass wir gar nicht um 18:00 Uhr, sondern erst um 18:30 Uhr verabredet waren. Gut so! Bin also dem subunternehmerischen SAMSEC heute zugewiesen. Die Sicherheitsfachleute aus Oberhausen sind bereits seit über zehn Jahren für die Stadthalle Hagen tätig. Pano und seine siebenköpfige Crew haben es heute mit 500 Frauen und vier zahlenden Männern zu tun – die sich die strippenden Herren der SIXX PAXX anschauen.
Bis zum Auftritt um 20:00 Uhr folge ich dem Einsatzleiter und schaue mir den Einlass an. Taschenkontrolle und Ticketing – dabei zeitgleich die freundlichen Hinweise für einige gekaufte Sitzplätze an der Abendkasse vorzusprechen. Man hat den Saal noch einmal im Vorfeld neu bestuhlt – somit werden einige Sitzplätze neu zugeordnet. Das SAMSEC-Team folgt den Anweisungen der Veranstaltervertreterin und ihrer kränkelnden Mitarbeiterin sehr fachmännisch und kollegial. Gestern Abend war das Sicherheitsteam noch bei einer karnevalistischen Damensitzung im Ruhrgebiet eingesetzt. Das Klientel ist heute identisch – nur ohne erkennbare Pappnase beim Publikum.
Dass ich bei der Jahresplanung meiner Stadthallen-Termine mir heute die Securitybegleitung ausgesucht habe, liegt an der Vorstellung, wie man als Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma trunkene, liebestolle Damen davon abhalten kann, wenn diese gedenken, eine Bühne stürmen zu wollen. Bisher war das gefährlichste Konzert, welches ich jemals sah (zumindest aus Sicht des Sicherheitspersonals) ein Auftritt der Vollplaybackschlagercombo der FLIPPERS. Damals war das Durchschnittsalter der gierigen Damen jenseits der 75. Heute liegt es augenscheinlich ungefähr bei der Hälfte der Lebensjahre. Den Bühnensicherungsjob bekommen die beiden Kollegen Andreas und Jan, die von ihrem Einsatzleiter freundlich und schmunzelnd-wertschätzend als „Glatze“ und „der Highlander“ tituliert werden. Beide würde jeder Regisseur in einer Verfilmung genau an dieser Stelle besetzen. Sie sind freundliche Prototypen der Szene.
Während in der Halle die Vorbereitungen laufen (u.a. baut der Tourwerbepartner ORION Werbematerial für das alkoholhaltige Angebotsprodukt FICKEN ROYAL auf) treffen auf dem Parkplatz die ersten Frauengrüppchen ein. Um die aufgeklappten Kofferräume herum entnimmt man ein vorfreudiges Klimpern der Piccolöchenfläschchen und anderer vorglühender Kaltgetränke. Auf dem kleinen Parkdeck vor dem Künstlereingang sieht man den zweietagigen Nightliner der blankziehenden Bühnencrew. Demnach sind alle entsprechend vorbereitet – das Spektakel kann beginnen!
Um mal ehrlich zu sein: persönlich hatte ich mir im Vorfeld gar nicht allzuviele Gedanken gemacht, worauf ich mich einlasse! Mit Strippern und ihren weiblichen Pendants hatte ich eher selten zu tun. Den 2o minütigen, sahnesprühenden und leckenden Auftritt einer Kollegin beim Junggesellenabschied eines Kumpels fand ich bereits vor fast 30 Jahren eher zäh und die Begegnung im Backstagebereich mit einem Stripper und einer, von ihm, bespielten Dame aus dem Publikum vor ein paar Jahren bei einem Auftritt einer Altweiberparty in der hiesigen Halle eher amüsant. Nach dem Auftritt musste der Stripper mit der Dame die Kontaktdaten tauschen – für die Versicherung. Er hatte im nackten Elan die Brille der Dame zerstört. Ganz klar ein Versicherungsfall… – aber wie argumentiert man in diesem Fall gegenüber der Versicherung!?
SAMSEC-Einsatzleiter Pano erzählt mir noch kurz die wesentlichen Anliegen des Abends: Man geht nicht von einem Tumult am Bühnenrand aus – obwohl es prinzipiell sinnvoll ist, wenn man immer „vom Schlimmsten“ ausgehen sollte, bzw. darauf vorbereitet ist. Sein Ziel ist es auch an diesem Abend, dass der Veranstalter und die Gäste zufrieden sind… und seine Crew gesund nach Hause kommt.
Um kurz nach 19:00 Uhr öffnen sich die Türen der Halle. Knapp fünfhundert Frauen der Zielgruppen „Junggesellinnenabschied“ und „Mami geht tanzen“. Es kommen die Simones und Ramonas der Region. Die Proseccodosen und Pappbecher müssen bei der Taschenkontrolle ebenso entsorgt werden, wie Lebensmittel und andere Getränke. Selbstverständlich wird auch nach etwaigen Waffen kontrolliert – glücklicherweise erfolglos. Die Damen beäugen sich gegenseitig sehr aufmerksam: einige Genießerinnen, einige vermeintliche Kolleginnen und etliche potentielle Mittänzerinnen sind zu vernehmen. Wohin mit den ganzen ausladenden Dekolletés und den glitzernden Highheels?
Um 20:04 Uhr die offizielle Begrüßung: „Ladies & Single-Ladies & Ladies, die heute lieber Singles wären!“ werden galant begrüßt – eine Minute später hat der erste Herr bereits kein Shirt mehr an! Hier gibt es wohl die ganz schnelle Nummer!? Eine weitere Minute später gibt es die erste Berührung zwischen dem weiblichen, kreischenden Publikum und den zehn, sagen wir mal, Tänzern: „Wir sind die Leinwand – ihr habt den Pinsel. Wir malen ein Bild voller Emotionen!“ Das alles ist noch die Warm-Up-Phase. Erst um 20:15 Uhr beginnt der erste Strip. Eher kein Quickie mehr – um 20:20 Uhr zieht der erste Mann auf der Bühne blank.
Natürlich haben die Herren Taylor Smith, Bobby Silva, Adam Rock, Mike Miller, Marvin Madsen, Jayden Yard, Breno Alonso, Michael Eisensteyn, Millon und (mein Namensfavorit) Steven Long begnadete, durchtrainierte Körper, sind an den richtigen Stellen tätowiert (oder wie der Kollege Madsen einfach durchgehend) und verfügen einerseits über den versprochenen Sixpack und über eine Körperbeherrschung, der man eine bestimmte erotische Ausstrahlung nicht absprechen sollte – auch nicht als überzeugter Onepackträger. Die zahlende Damenwelt verliert sich in ihren heimlichen E.L.James-Träumereien von einem gewissen Herrn Grey und weiß gar nicht wohin der Zoom des Mobiltelefons zuerst gerichtet werden soll. Was passiert mit den ganzen Filmchen?
Andreas und Jan vom Team SAMSEC stehen derweil in bester Berufspose und mit wenig Lächeln im Gesicht links und rechts der Bühne. Sie haben das Publikum im Blick. So lautet ihre heutige Jobbeschreibung – während die Kolleg:innen mittlerweile die Notausgänge sichern und dabei die Möglichkeit haben, das strippende Bühnenprogramm mitzuerleben! Sie scheinen alle ihren Job korrekt auszufüllen.
Um 20:35 Uhr gibt es den Strip-Klassiker für Herren: die SixxPaxxHerren betreten als amerikanische Cops die Bühne. Auch hier das einstudierte Programm – Sonnenbrille ab, Schildmütze ins Bühnendunkel gefeuert, Hemd aus (langsam), kreppverschlussverklebte Schnellfickerhose entfernt, zweimal den bloßen Hintern wackeln und dann die ebenfalls kreppverschlussverklebte Unterhose runter. Nach kurzer Zeit ist jeder Cop nur noch mit Knieschützern bestückt… – immerhin entsteht hier kein Versicherungsschaden.
Nach der Pause gibt es rasch den zweiten Klassiker: der dritte Tänzer darf nackt unter die Dusche – zum Mickey Rourke/Kim Basinger/Joe Cocker-Klassiker „You Can Leave Your Hat On“. Auch schon 40 Jahre her… Am Ende sind es über 120 Minuten Männerstrip – von 10 Herren in diversen Themen und kurzzeitigen Kostümen: Cops, Peaky Blinders, Könige der Löwen, asiatischer Schwertkämpfer, Bondagerockern. Knackige Hintern, athletische Körper, aber dank eines perfekt einstudierten Klötengriffs kein Hinweis auf das männliche Geschlechtsmerkmal Nummer Eins! Auch das muss gekonnt sein.
Die Damen sind bei jeder Darbietung kreischend dabei. Es ist für viele der anwesenden „Ladies & Single-Ladies“ eine augenscheinliche Ehre als Bühnenpersonal den gespielten Koitus zu unterstützen und einfühlsam behilflich sein zu dürfen. Auch zwei der vier zahlenden Herren wären gerne für penetrierende Schauspieldarbietungen aufgefordert worden. Sie hatten heute keine Chance.
Der SIXX PAXX-Auftritt endet ab 22:30 Uhr mit dem Zugabenteil zum wahren Spektakel: Das Bühnenpersonal nimmt die holde Weiblichkeit noch einmal mit in die Zeit der tanzenden und (etwas minimalisierender) entblößenden Boygroup-Ära. Hat Jayden Yard nicht sogar etwas Ähnlichkeit mit dem jüngeren Robbie Williams? Musikalisch ist die Erkenntnis des Abends definitiv gegeben: Girl, you know it`s true!
Andreas und Jan haben bei der Zugabe bereits ihre Stammplätze verlassen! Sie werden nach der Zugabe im Foyer benötigt – wo die 10 Oberkörperfreien zum Fotoshooting bitten! „Der Highlander“ und „Glatze“ posieren nicht mit – sorgen aber für die hysteriefreie Reihenfolge beim Shooting! Derweil verabschiedet Pano die 500 Gästinnen beim Ausgang. Anschließend wird seine Crew noch eine Abschlussrunde durch die Halle drehen und in den Räumen nachschauen, dass sich niemand mehr im Haus aufhält. Auf dem Weg zu meinem Auto grinse ich: überall stehen laufende Autos aus der Region. Kennzeichen aus HA, EN, WIT, MK, etc. lassen erkennen, woher die Besucherinnen des Abends kamen – und wer sie nun abholte: die Ehemänner!